1. Tag: Udine – Caorle, 82 km

Dies ist meine erste Radtour in Italien, die ich aus Mangel an Mitstreiterinnen ganz alleine unternehme. Die Idee, mit dem Rad den ganzen Stiefel zu umrunden und auf Menschen zuzugehen, mit ihnen zu sprechen und Erfahrungen zu sammeln, sowie einen Reise-Blog darüber zu verfassen, soll sich auf dieser Radreise entwickeln und in den darauffolgenden Tagen und Wochen reifen.

Inspiriert dazu haben mich zwei ganz liebe Freundinnen. Die eine, die selbst mit 47 Jahren zur Bloggerin wurde und die andere, die meinte, sie möchte in ihrer Pension Italien bereisen und den ganzen Stiefel von Norden bis Süden abfahren. Warum nicht beides verbinden, denke ich mir und beginne Pläne zu schmieden.

Hab bei meiner Pause statt auf „Route pausieren“ auf „Route beenden“ gedrückt… daher gibt es zwei Karten…

Meine Vorbereitungen für die Tour halten sich in Grenzen. Ich liebe spontane Entscheidungen und bin nicht der Typ für perfekt durchgestylte Unternehmungen. Die Kommot-Radroute am Handy ist geplant und die Powerbank aufgeladen, das sind die zwei wichtigsten Utensilien, neben Pass und Bankomatkarte, die man für eine Radtour benötigt. Ausgestattet mit nur einer Packtasche geht’s in aller Früh mit dem Rad zum Bahnhof.

Der Bus, der bis nach Venedig fährt und bis zu vier Fahrräder mitnehmen kann, hält am Bahnhof in Udine, wo es um 8:30 bereits 25 Grad hat. Ich fahre voll motiviert stadtauswärts in westlicher Richtung und freue mich auf den kommenden Tag. Heiß wird‘s halt und der Gegenwind macht mir bald zu schaffen. Egal, ich bin noch fit und trete munter drauf los! Bald verlasse ich die Stadt und folge meiner geplanten Route auf einsamen Landstraßen und Feldwegen durch die verschlafenen Ortschaften Variano und Basiliano. Es begleiten mich eine warme Brise, Mais- und verwelkte Sonnenblumenfelder.

Als ich nach der Ortschaft Basiliano zu einer Unterführung der Eisenbahntrasse komme, erwartet mich folgendes Bild:

Anscheinend hat es in der Gegend um Udine in den vergangenen Tagen viel geregnet… Ich riskiere und fahre trotz Absperrung durch knietiefes Wasser. Meine Schuhe sind danach patschnass, aber bei der Hitze macht das Gott sei Dank nichts aus.

Über sehr schwach frequentierte Landstraßen geht es von Basagliapenta über Villacaccia und Rivolto bis nach Passariano bei Codroipo. In Villacaccia fotografiere ich den ersten Glockenturm (campanile) auf dieser Fahrt. Es sollen noch einige mehr werden, weshalb diese Tour von mir den Namen „Radtour der Glockentürme“ bekommt.

Von Passariano erwarte ich mir genauso wenig, wie von den bisherigen Kaffs auf meinem zurückgelegten Weg. Doch das alte Steintor im Ortszentrum mit den Statuen oben drauf verheißt Interessanteres. Tatsächlich, dahinter verbirgt sich die außerordentlich imposante Anlage der Villa Manin, die ich durch Zufall entdecke.


Villa Manin in Passariano

Die Villa Manin in Passariano bei Codroipo wurde im 17. Jahrhundert im Stile einer Landvilla des venezianischen Adels errichtet. Sie gehörte der venezianischen Familie Manin. 1789–1797 war sie Residenz von Ludovico Manin, des letzten Dogen von Venedig. Als Napoléon Bonaparte die Republik Venedig eroberte, musste Manin im August 1797 das Dogenamt niederlegen. Am 17. Oktober 1797 wurde in der Villa Manin der Frieden von Campo Formio zwischen Frankreich, vertreten durch Napoléon Bonaparte, und Kaiser Franz II. für Österreich geschlossen (https://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Manin).

Im linken Anbau des Hauptgebäudes gibt es ein Restaurant „Il Doge“, im rechten Anbau ein kleines Kutschen- und Waffenmuseum, sowie eine dem heiligen Andreas geweihte relativ große Schloßkapelle im Barockstil. Davor verlaufen im Halbrund die ehemaligen Stallgebäude, die nur von einer Einfahrt, einer mit Figuren geschmückten Brücke unterbrochen wird; darunter liegt ein Teich. In der Villa war Ernest Hemingway 1954 Gast der Familie Kechler, der die Villa damals gehörte (https://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Manin).

Die großzügig angelegte Villa umfasst 8500 Quadratmeter und liegt am Rande eines 18 Hektar großen, weitläufigen englischen Landschaftsparks, in dem botanische Raritäten aus aller Welt zu sehen sind (u. a. Bambus, libanesische Zeder). Dem Zeitgeschmack entsprechend finden sich ein (ausgetrockneter) Teich und ein Hügel mit Figuren aus der griechischen Mythologie. (https://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Manin).

Circa vier Kilometer südwestlich von Passariano liegt die Ortschaft San Martino, wo sich die Villa Manin-Kechler, eine Residenz aus dem späten 16. Jahrhundert befindet. Die Villa gehörte einst der venezianischen Familie Manin, die dort lebte, bis sie nach Passariano übersiedelte. Im 19. Jahrhundert ging der Besitz an den Grafen Carlo Kechler. Ein berühmter Gast des Grafen war Ernest Hemingway, der mehrere Male dort weilte und an den Jagdreisen zwischen Lignano, der Mündung des Tagliamento und Caorle teilnahm.


San Martino

Von San Martino geht es dem Bach Acque di S. Pietro entlang auf einem Schotterweg bis nach Varmo. Von dort in westlicher Richtung auf der Via Tagliamento bis zum Fiume Varmo, dem ich bis Madrisio, das weiter südlich gelegen ist, folge. Parallel zur Via Crescentia verläuft der schöne Weg östlich des Tagliamento entlang bis Canussio und Fratoreano.

In der Nähe von Canussio treffe ich auf einen Jungen, der mich sehr an meinen Sohn erinnert, als er im selben Alter war. Mit einem Cart einfach so über eine Wiese zu preschen und richtig Gas zu geben hätte ihm bestimmt auch gefallen. Ich fahre noch mal zurück, um ein Video zu machen und es meinem Sohn zu schicken und denke dabei ganz fest an ihn….

„A wüda Hund…“

Latisana

Latisana kennt man als Österreicher eigentlich nur von der Autobahnabfahrt. Die Stadt ist überschaubar mit schöner Domkirche und dazugehörigem Campanile. Der Rad- bzw. Fußweg am Tagliamento lädt zum Verweilen ein, aber ich habe noch einige Kilometer vor mir und möchte meine Pause möglichst spät ansetzen. Im Umland von Latisana werden Weine unter der Bezeichnung „Friuli Latisana“ angebaut und produziert. Es gibt acht verschiedene Rot- und acht Weißweine, die unter diesem Namen verkauft werden.


Lugugnana

Ich ahne nicht, dass die Ortschaft Lugugnana die letzte Möglichkeit für etliche Kilometer sein wird, um meine Wasserflasche aufzufüllen.

Bei brütender Hitze und mit einer halben Flasche Wasser fahre ich weiter, denn auf der Karte sind noch ein paar kleine Dörfer, die auf meiner Route liegen, eingezeichnet, wie z. B. Marina, Castello di Brussa, Villaviera und Sindacale. Diese sind jedoch aufgrund der Abgeschiedenheit in der weiten Ebene der landwirtschaftlichen Nutzflächen und im Einzugsgebiet des Valle Zignago von jeglicher Infrastruktur abgeschnitten. Kein Geschäft, kein Restaurant weit und breit….

Nach der Pause in Maranghetto in einer Trattoria direkt neben der relativ stark befahrenen Via Trieste, sind es nur mehr elf Kilometer bis Caorle, die sich aber noch fürchterlich in die Länge ziehen… Ich entscheide mich für die ruhigere Variante über die Ortschaften Marango und San Gaetano. Ein Feldweg führt mich an einem alten, scheinbar verlassenem Herrenhaus mit bewirtschaftetem Gemüsegarten vorbei, worauf ich einen kurzen Blick werfe und dann weiter fahre. Die letzten drei Kilometer bis Caorle verlaufen leider auf der verkehrsreichen Strada Sesta Presa.


Caorle

Endlich – CAORLE!!! Ich genieße die Einfahrt in die Stadt bei milder Meeresluft, bewundere die schönen Fischkutter und Jachten im Canale dell’Orologio und natürlich die charakteristischen bunten Häuser von Caorle, sowie die engen Gassen.

Nach einer kurzen Rundfahrt durch die Altstadt, vorbei an der Kathedrale aus dem 11. Jahrhundert und dem bemerkenswerten zylindrischen Glockenturm aus dem Jahr 1100 sowie der Kirche Madonna dell’Angelo am Oststrand (Spiaggia di Levante) entscheide ich mich für den Weststrand (Spiaggia di Ponente), um dort nach einer Unterkunft zu suchen.

Ich finde ein Zimmer im Hotel Negretto direkt am Strand, wunderschön gelegen mit hauseigenem Restaurant mit Blick aufs Meer. Besser geht’s nicht! Einziger Wermutstropfen: Die Balkone zwischen den Zimmern sind nicht abgetrennt… Ansonsten kann ich das Hotel sehr empfehlen!

Wohlverdientes Abendessen auf der Meerblick-Terrasse des Hotels „Negretto“

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8 Antworten

  1. Harald sagt:

    Liebe Alice,
    ich bin mächtig stolz auf meine Frau! Nicht nur mutig alleine in Italien unterwegs, sondern auch ein Händchen um fantastische Fotos zu schießen und die Kunst die ganzen Erlebnisse so „aufs Papier zu bringen“!!!

  2. Karner Margarita sagt:

    Die Fotos sind wunderbar!

  3. Ilse Monteleone sagt:

    Liebe Alice,
    hebe ich meinen Blick über die Kante meines Laptops, so fällt er auf dichtes, eiszartes Schneeflockentanzen…zurück auf dem Bildschirm, wo mich unzählige originelle und geniale Bilder in eine wunderbare, immer südlicher anmutende Landschaft meines Lieblingslandes führen, verspüre ich ganz deutlich die Hitze, die salzige Meeresbrise..den Durst nach frischem Wasser, die Lust ins blaue Nass einzutauchen..um dann eine kühle Kirche zu besuchen, ein paar Einheimische in ein freundliches Gespräch verwickeln..
    …und danach wieder munter und kilometerhungrig meinen Drahtesel zu besteigen und weiterzureisen ins – zumindest von dieser Perspektive aus – verheißungsvolle Unbekannte..
    Herzliche Gratulation Alice!
    Du lässt mich eintauchen, mitreisen..miterleben wozu du vergangenen Sommer und Herbst den Mut und die Initiative aufgebracht hast : ganz allein loszuradeln, auf Entdeckung…danke, dass wir „mitradeln“ dürfen..und ja..ich bekomme natürlich durch die vielen wunderschönen Bilder und deinen herzerfrischend vom Pedal weg kommentierten Blog noch mehr Lust, deinen Spuren zu folgen !
    Bravissima! Un forte abbraccio, Ilse

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