1. Tag: Venedig – Ca‘ Tiepolo, 81 km


Die Reise beginnt eigentlich zu Hause, wo in aller Früh die letzten Sachen noch in den Packtaschen verstaut werden, die Wasserflasche darauf wartet aufgefüllt und in die Flaschenhalterung am Rad gesteckt zu werden. Packliste hab ich keine, das muss auch so gehen… Manches auch im letzten Abdruck… Geld, Pass, Visakarte, Busticket, Reserveschlauch, Luftpumpe, Handy, Aufladekabel und Powerbank müssen unbedingt dabei sein, alles andere ist nicht ganz so dringend. Dieses Mal hab ich auf eine Handtasche für den Abend vergessen. In Anbetracht meiner gefühlten 50 Handtaschen, die bei mir zu Hause rumliegen, hab ich mich allerdings beim Kauf einer neuen zurückgehalten und war am Abend immer mit einem Leinen-Turnsackerl unterwegs, das eigentlich gar nicht zu mir passt. Alle, die mich kennen, können sich das wahrscheinlich auch schwer vorstellen und ich muss sagen, es war tatsächlich eine Überwindung für mich… 😉 Außerdem war meine Lesebrille nicht mit dabei, was mich beim Kartenlesen jedes Mal daran erinnerte, wie alt ich eigentlich schon bin…

Und auf geht´s in jugendlichem Übermut mit einem leichten Nervenkitzel und riesiger Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer, in das ich mich nun stürzen werde.


Startbereit

Bei leichtem Nieselregen geht es abwärts zum Bahnhof. Aufgrund der schönen Wettervorhersage habe ich die Regenjacke vorsichtshalber zu Hause gelassen, damit ich nicht unnötig Ballast mit mir rumschleppen muss…

Der Bus vom Hauptbahnhof Villach (6.50 Uhr) nach Venedig Tronchetto (10.10 Uhr) eignet sich hervorragend für Radfahrer, die von Venedig aus Radtouren unternehmen möchten (Stand 2020). Bis zu vier Räder können mitgenommen werden und man kommt schnell und komfortabel ans Ziel. Es empfiehlt sich das Ticket schon ein paar Tage vor Reiseantritt zu lösen, damit man auch sicher einen Platz bekommt.

Je weiter wir in Richtung Süden fahren, ich sitze über dem Buschauffeur in der ersten Reihe, desto mehr lichten sich die Wolken und der Regen hört auf.

In Venedig hat es um 10 Uhr bereits 20 Grad und der Himmel ist strahlend blau!

Mit der Auto-Fähre (die Italiener nennen sie überraschenderweise „Ferry Boat“) geht es vom Tronchetto aus zum Lido di Venezia und ich schaue mich nach potenziellen Gesprächspartnern um. Schon vorher beim Warten auf die Fähre ist mir ein Pärchen mit Rädern aufgefallen, das anscheinend einen Radausflug am Lido vorhat. Der Mann trägt einen weißen Bart, der zu einem Schwänzchen zusammengebunden ist, igendwie schräg und sympatisch… Auf der Fähre kommen wir ins Gespräch, weil ich absichtlich ganz in ihrer Nähe ein Foto von Venedig machen möchte. Sie sind sehr offen und nett und als ich mir einen Ruck gebe und sie anspreche. Sie erzählen mir, dass sie beide in Murano geboren und aus ökonomischen Gründen nach Mestre gezogen sind. Ein Schicksal, das vielen Venezianern widerfährt, weil sie sich die exorbitanten Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können.

Christina und Adriano auf der Fähre
Christina, 60 und Adriano, 61 aus Mestre, hier mit Maske aufgrund der Corona-Maßnahmen (2020)

Lido di Venezia

Erfrischten Herzens aufgrund der netten Begegnung mit Cristina und Adriano fahre ich den Lido, eine 12 km lange Sandinsel, die die Lagune von der oberen Adria trennt, entlang in Richtung Süden, vorbei an prunkvollen Palazzi, dem Hotel Excelsior, sowie zahlreichen Strandbädern. Eine Besonderheit an den Ständen von Venedig sind die vielen kleinen Hütten. Diese abschließbaren oder auch noch vorne offenen Strandhütten kann man mieten. Viele Einheimische mieten gleich für die ganze Saison, es ist aber auch nur für ein paar Tage möglich. In der Hütte sind Möbel wie Liegen, Sonnenschirme, ein Tisch und Stühle. Natürlich sind die Hütten, wie vieles in Venedig, nicht gerade preiswert. Vor dem Palazzo del Cinema bereitet man sich auf die bevorstehenden Filmfestspiele 2020 vor.

Weiter verläuft der Radweg auf schmalen Dämmen (sog. „murazzi“) mit herrlichem Blick auf´s Meer. An der Steinküste haben kreative Leute Schattenplätze mit Schwemmholz errichtet und man möchte am liebsten für einige Zeit dort verweilen. Da ich noch 70 km vor mir habe, schieße ich zumindest ein Foto und treffe dabei zufällig wieder Cristina und Adriano, diesmal ohne Maske.

Ein kurzer Singeltrail führt mich entlang eines Kanals nach Malamocco, dem ältesten Ort des Lido die Venezia, in dem einst der Doge von Venedig residierte. Da ich in der Mittagszeit durch das Örtchen streife, begegne ich dort keiner Menschenseele.

Durch das Örtchen Malamocco gelange ich wieder auf die Lagunenseite der langgezogenen und sehr schmalen Insel und fahre auf einer mäßig befahrenen Straße nach Alberoni, dem südlichsten Ort, von wo auch die Fähre nach Pellestrina ablegt.


Pellestrina

Die Insel Pellestrina ist in ihrer Nord-Süd-Ausdehnung in etwa gleich lang wie der Lido di Venezia, also ca. 12 km und an ihrer breitesten Stelle nur 1 km breit. Für mich versprüht Pellestrina noch mehr Charme, wenn auch weniger Glanz vergangener Tage, weil die Insel naturbelassener ist, die Häuser scheinbar bunter, wenn auch schmuckloser und die Strände menschenleer sind. Nur die Jugendlichen unterscheiden sich nicht von anderen Jugendlichen der restlichen Welt: Auch hier sind sie den unendlichen Weiten des Internets erlegen und müssen ihre Bildschirme vor der Sonne schützen.

Auf dem zwar nicht ganz so sauberen, dafür aber einsamen Strand werfe ich mich zum ersten Mal in die Fluten (wer weiß, ob es später noch möglich sein wird…) und nutze das Alleinsein, um mein neues Klammerstativ für ein paar Selfies auszuprobieren. Das ist dabei herausgekommen…

Es lohnt sich nicht wirklich, das Rad die Stiegen zum Damm hinaufzuschieben, da einerseits der Blick zum Meer nicht mehr gegeben ist und andererseits der Radweg immer unebener wird. Daher beschließe ich die Ortschaft Pellestrina über die Landstraße, die allerdings von Autos fast nicht befahren wird, zu erreichen.

Es ist kurz nach halb drei und die Küchen diverser, schnuckeliger Lokale sind leider schon geschlossen. Bei der Anlegestelle für die Fähre nach Chioggia führt Giovanni eine nette Bar, wo ich mich für ein Panino mit Proschiutto und ein Gläschen Rotwein und viel Wasser ausraste.

Ich beginne ein Gespräch mit Giovanni, der mir ohne weiteres mit viel Freude ein wenig von der Überflutung im November 2019 erzählt. Durch das angeregte Gespräch versäume ich die Fähre nach Chioggia. Macht nix, in einer halben Stunde geht die nächste und langweilig wird mir ja nicht…

Mein Motiv Menschen anzusprechen liegt einzig und allein in der Kommunikation und dem interkulturellen, aber auch persönlichen Austausch. Einer Umarmung kann man bei so viel Spaß und italienischem Temperament jedoch manchmal nicht entgehen… 😉


Chioggia

Die Fischerstadt Chioggia, auch „Die kleine Schwester Venedigs genannt“, liegt im Süden der Lagune und ist nur durch wenige Straßen mit dem Festland verbunden.

Chioggia ist bekannt für seine bezaubernde, mittelalterliche Altstadt. Die farbenfrohen Häuser stehen direkt am Wasser und werden von kleinen Kanälen und Brücken getrennt. Alte Glockentürme und die antike Architektur versprühen einen ursprünglich-italienischen Charme. Alles ist hier kleiner und dadurch auch persönlicher als in Venedig.

Der Fischfang, der Gemüseanbau (Radicchio rosso, auch „la rosa di Chioggia“ genannt, und Karotten) und natürlich der Tourismus sind die wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt.

Südlich von Chioggia führt ein wunderschöner Radweg entlang der Lagune und dann im Landesinneren in Richtung Süden.

Leider bleibt mir keine andere Wahl und ich muss auf die Bundesstraße Via Romea, die man bis über die stark befahrene Brücke nicht umfahren kann… Ich nehme vor lauter Angst den viel zu schmalen Gehweg und schiebe über die Brücke der Brenta.

Bis Rosolina gelingt es mir, dem Verkehr, einmal links von der Bundesstraße über einen ruhigen Feldweg und einmal rechts am Canale di Valle entlang, auszuweichen. Danach bleibt mir nichts Anderes übrig und ich trete schnell bis Loreo und danach in südöstlicher Richtung bis Porto Viro, dem vermeintlichen Ziel des heutigen Tages.


Porto Viro

Porto Viro präsentiert sich mir trotz der schönen Kirche San Bartolomeo Apostolo und dem eindrucksvollen Campanile als ein unpersönlicher Ort, wo es sich nicht unbedingt lohnt den Abend zu verbringen. Daher beschließe ich, bis nach Ca´Tiepolo weiter zu radeln und buche zur Sicherheit noch schnell die Unterkunft, damit ich die bevorstehende Nacht auch sicher in einem Bett verbringen kann.

Wunderschöner Streckenabschnitt: Porto Viro – Ca´Tiepolo

Nach ca. 20 weiteren Kilometern am Damm-Radweg entlang des wunderschönen Po di Venezia mit unglaublicher Artenvielfalt (auch riesige Mückenschwärme… Ich kneife die Augen zusammen und halte die Luft an…) komme ich bei Dunkelheit nach atemberaubendem Sonnenuntergang und gleichzeitigem Vollmondaufgang (roter Mond) völlig erschöpft und müde in meiner Unterkunft „Albergo Ristorante Pizzeria Klaus“ an. By the way, ich sollte mir vielleicht doch eine Packliste schreiben, denn ein Radlicht hab ich auch vergessen…;-)

Ich schmause nach einer ausgiebigen Dusche im Restaurant der Unterkunft. Als Vorspeise bestelle ich ein Thunfisch- Lachs-Carpaccio und danach Spaghetti alle Cozze.

Spaghetti alle Cozze

Der Tag war anstrengend, ereignisreich und heiß, aber mit vielen neuen Eindrücken. Ich bin zufrieden mit meiner heutigen Leistung und meinem Mut, fremde Leute angesprochen zu haben. Aufgrund der Anstrengung und der Hitze hab ich etwas Kopfweh und freue mich nur noch auf mein wohlverdientes Bett.

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