Von Campomarino führt leider nur die stark befahrene Strada Statale 16 Adriatica an der Küste entlang in Richtung Gargano. Daher nehmen wir einen Umweg über das Hinterland in Kauf und tauchen ein in eine sehr verlassene, ländliche und landwirtschaftlich bis aufs Äußerste genutzte Gegend. Wir befinden uns auf einem angeblichen „Food and Wine Trail“, entdecken aber leider keinen einzigen Bauernhof mit Direktverkauf und auch Winzer bleiben im Verborgenen… Ich bin wieder einmal froh, Harald an meiner Seite zu wissen, denn die Gegend ist an Einsamkeit kaum zu überbieten.




Wir erfreuen uns der Früchte, die die karge Erde so reichlich und in allen Farben zum Vorschein bringt…








Ein ganz eigener Reiz geht von dieser vegetationsarmen Landschaft mit ihren glattrasierten Hügeln aus, die noch einige Zeit dem Getreideanbau dienen sollen. Oliven- und Eukalyptusbäume, sowie Feigenkakteen (in Österreich auch „Ohrwaschlkakteen“ genannt) trotzen einzig und allein der Trockenheit. Das Schild für eine Schneekettenpflicht im Winter lässt uns angesichts der sanften Hangneigung und der geringen Schneewahrscheinlichkeit in Apulien ein wenig schmunzeln…
Ja, wir befinden uns hier an der Grenze zwischen den beiden Regionen Molise und Apulien, verlassen die Provinz Campobasso und betreten das Provinzgebiet von Foggia.









Mitten in dieser Mondlandschaft liegt auf einem Hügel die kleine Ortschaft Chieuti, wo zufälligerweise an diesem Tag an der Hauptdurchzugsstraße ein Obst- und Gemüse-, sowie Haushaltsmarkt abgehalten wird.




Der sympathische Roberto (52) aus Lesina erklärt mir ausführlich die Handhabung des gerippten Nudelholzes und die Herstellung von Troccoli, einer der typischen Pastaarten in Apulien. Seit diesem Tag bin ich stolze Besitzerin eines bis dato ungebrauchten Troccoli-Nudelholzes! Ein anderer netter Marktverkäufer schenkt uns jede Menge Weintrauben zu unseren Pfirsichen…






Verbrannte Erde, jede Menge Glasflaschen am Straßenrand und Rauchwolken in der Ferne trüben ein wenig die ländliche Idylle…
.



In Gedanken spinne ich die Inizierung einer Facebook-Challange…. Einen großen Sack mit Müll einsammeln und bei einer Müllentsorgungsstelle abgeben…. Wie wäre das??

In der Ebene zwischen Chieuti und dem Lago di Lesina werden großflächig Tomaten angebaut und von illegalen, afrikanischen Erntearbeitern eingesammelt und verladen. Wir sind als neugierige Fotografen angesichts des dunklen Kapitels von Süditalien verständlicherweise nicht gerne gesehen und werden mit Schreien und wütender Gestik verjagt. An anderer Stelle können wir heimlich ein paar saftige, sonnengereifte Tomaten ergattern…





Wir ignorieren das Fahrverbotsschild vor einer Unterführung und fahren zielstrebig unter der Autobahn durch. Die viel schlechtere Alternative wäre nämlich die wohl bekannte Strada Statale 16 Adriatica. Für Fahrräder wird dieses Schild wohl nicht gelten, denken wir uns… Bei einem Bauernhof kleffen uns drei große, weiße Hirtenhunde bei offenem Tor entgegen und wir fahren mutig, aber mit großem Respekt an ihnen vorbei. Nach ca. 500 m staubiger Schotterpiste wird unsere Befürchtung zur traurigen Gewissheit: Hier geht’s definitiv nicht weiter! Der Fluss Fortore dürfte hier bei Hochwasser die Straße mitgerissen haben…



Also müssen wir zurück und nochmals an den Hunden vorbei, die nur noch auf uns warten und uns unter bedrohlichem Bellen und Himmel sei Dank schwerfälligem Galopp verfolgen. Wir sind schneller als sie und kommen mit einem riesen Schrecken davon!!
Die circa fünf Kilometer auf der Strada Statale 16 Adriatica sind aufgrund des relativ breiten Seitenstreifens gar nicht so schlimm wie angenommen. Glücklicherweise ist der Gegenverkehr auch eindeutig stärker als der Verkehr auf unsere Fahrbahnhälfte…


Als wir von der Statale vor dem Lago di Lesina wieder in ländliches Gebiet in Richtung Marina di Lesina abzweigen, werden wir bei einem einsamen Bauernhof wieder von einem etwas aggressiveren und wendigeren Hirtenhund verfolgt. Diesmal war es ganz schön knapp und wir wünschen uns die Strada Statale herbei! Die Sache mit den frei laufenden Hunden ist hier im Süden wirklich ein Problem und wir denken über Pfefferspray oder Schlagstöcke zur Selbstverteidigung nach…
Im wenig sehenswerten Ort „Marina di Lesina“ lassen wir uns bereits völlig erschöpft und hungrig im Ristorante Lido „La Sirena“ nieder und setzen uns irrtümlicherweise und ohne zu fragen an einen reservierten Tisch. Wir bemerken auch garnicht, dass eine Gruppe von Arbeitern darauf wartet, dass genau dieser Tisch freigegeben wird. Dieses Fehlverhalten lässt uns der eigenwillige Kellner bitter bezahlen. Wir warten (knapp am Verdursten) ewig auf die Getränke und geschlagene 45 Minuten auf unser Essen. Trotz der misslichen Lage nehmen wir es mit Humor, genießen den traumhaften Blick aufs Meer und vergnügen uns mit der Analyse italienischer Gepflogenheiten…




Nach dem sehr zeitintensiven, aber ausgezeichneten Essen setzen wir voll motiviert unsere Tour mit dem sehr ambitionierten Tagesziel Rodi Garganico (noch 40 Kilometer) fort. Der wunderschöne Weg führt durch den schmalen Bosco Isola, einem Naturpark östlich des Lagunen-Sees Lago di Lesina, der den See von der Adria trennt.
Der Lago di Lesina ist eine Lagune, 24,4 km lang und 2,4 km breit und hat einen Umfang von fast 50 km. Er ist durch zwei Kanäle, den Acquarotta und den Schiapparo, schiffbar. Die Kanäle verbinden die Lagune mit der Adria, von der der See durch eine Düne (Naturpark Bosco Isola) getrennt wird. Der fischreiche See hat Brackwasser, da er durch Sturzbäche aus dem Hochland mit Süßwasser gespeist wird (https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalpark_Gargano). Er liegt im gleichnamigen Naturschutzgebiet, ein 1981 zum Aufstocken von Tieren eingerichtetes Gebiet zum Schutz der in dieser Gegend nistenden Vogelarten. Hier befindet sich auch das Besucherzentrum „Lago di Lesina“ des Gargano-Nationalparks mit dem ethnographischen Museum „La Casa del Pescatore“, dem Botanischen Garten und dem Naturkundemuseum, das über ein in Europa einzigartiges Brackwasser-Aquarium verfügt (https://www.idealista.it/de/news/leben-italien/2018/09/20/2261-die-schoensten-seen-italiens).
Schon bald wird uns bewusst, dass wir die 40 Kilometer heute nicht mehr schaffen werden, denn der pittoreske Weg geht nach und nach in eine unbefahrbare Sandpiste über, in der die Reifen einsinken. Wir schieben eine Weile unsere Räder und schicken dann die Drohne voraus, damit wir abschätzen können, wie es weiter vorne aussieht. Leider negativ. Zum zweiten Mal am heutigen Tag kommen wir bei der geplanten Route nicht weiter…





So disponieren wir eben um und verkürzen die Tour auf „nur“ 73 Kilometer bis nach Lesina, einem netten Ort gelegen am Lago di Lesina in circa 10 Kilometer Entfernung.

Lesina
Lesina ist eine Kleinstadt in der Provinz Foggia, 57 km nördlich der Provinzhauptstadt, und ist Teil des Nationalparkes Gargano. Der Ort in der Capitanata zählt 6302 Einwohner (Stand 31. Dezember 2019) (https://de.wikipedia.org/wiki/Lesina_(Apulien)). Die Capitanata ist eine historische Landschaft in Italien, im nördlichen Teil Apuliens zwischen den Flüssen Ofanto und Fortore (https://de.wikipedia.org/wiki/Capitanata). In der salzhaltigen Lagune Lago di Lesina werden Aale gezüchtet. Die Kathedrale wurde im 12. Jahrhundert erbaut. Die römische Siedlung Alexina (in der Form Alesina ist der Name auch im Mittelalter gebräuchlich) ist vorwiegend epigraphisch nachgewiesen. In der byzantinischen Zeit war der Ort groß genug, um den Bischöfen von Lucera nach der Zerstörung ihrer Stadt durch Constans II. als Ausweichresidenz dienen zu können. Zu Beginn des 11. Jahrhunderts residieren ebenfalls Bischöfe von Lucera in Lesina. Ob es sich dabei um eine erneute Notlage oder eine andauernde Tradition handelt, kann nicht festgestellt werden. Unter der langobardischen Herrschaft war Alesina zunächst Sitz eines Gastalden, später eines Grafen. Von der Zeit Gregors IX. an bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts war Lesina ein eigenständiges Bistum (https://de.wikipedia.org/wiki/Lesina_(Apulien)).
Erste Eindrücke von Lesina…





Zunächst gönnen wir uns einen „Spritz Aperol“ in einer netten Bar direkt am See…


Schnuckelige Details…






Danach kümmern wir uns um eine Unterkunft und werden ebenso direkt am See fündig. Ein kleines, aber feines B&B mit nettem Balkon und atemberaubendem Blick aufs Wasser… A&R bedeutet Andrea und Rosanna, das Ehepaar, dem die Unterkunft gehört. Rosanna hat alles sehr liebevoll dekoriert und Andrea kümmert sich um die Geschäfte…




Wir müssen noch schnell zum See, um ein paar coole Bilder zu machen…




Nach dem malerischen Sonnenuntergang am Lago di Lesina sind wir ganz schön erschöpft, aber ebenso erfüllt mit fantastischen (teils traumatischen – Stichwort „Hunde“) Erinnerungen an den heutigen Tag. Duschen – essen – fernsehen – schlafen, das geht grad noch… Buona Notte!!
In dem folgenden, wie ich finde, sehr gut gelungenen Video wird der Tag noch einmal kurz zusammengefasst…
Keine Antworten