Um 8.00 Uhr starte ich mit meiner Stadtrundfahrt durch Triest. Über die Piazza Oberdan geht es bei der Synagoge vorbei bis zum alt-ehrwürdigen Caffè San Marco in der Via Cesare Battisti, das ich unbedingt empfehlen möchte. Es ist eine Mischung aus Wiener Kaffeehaus im Jugendstil, italienischem Flair und lokaler Kaffeekultur. Ich trinke einen hier gängigen „Espresso macchiato Capo in B“ neben einer adretten Triestinerin (ich im Bike-Outfit, oh Gott…), wie sich’s gehört im Stehen an der Bar. Danach schlendere ich durch die angeschlossene „Libreria“, um in den Büchern zu schmökern und mir von einer anderen Kundschaft ein Buch empfehlen zu lassen… Dass ich noch 93 km vor mir habe, blende ich komplett aus und genieße das Schmökern in der Literatur und die angenehme Hintergrundmusik gepaart mit betörendem Kaffeeduft…
Triest, Hafenstadt am Adriatischen Meer, ist eine der literarischen Hauptstädte Mitteleuropas. Die Namen vieler großer Schriftsteller wie Italo Svevo und sein generöser Förderer James Joyce sind mit der Stadt verbunden. Hier stand die Kaffeehauskultur in voller Blüte; in den Jahren 1863 bis 1902 existierten hier 560 Zeitungen und Zeitschriften in verschiedenen Sprachen (https://www.amazon.de/Triest-Eine-literarische-Hauptstadt-Mitteleuropa/dp/3423341750).
Triest war ein Schmelztiegel italienischer, deutsch-österreichischer, slowenischer, jüdischer und griechischer Kultur. Jahrhundertelang gehörte die Stadt zur Habsburger Monarchie, was sich in der Architektur deutlich widerspiegelt. Teilweise wähnt man sich in Wien, Prag oder Budapest und nicht im sonnigen Italien (https://www.calvendo.de/galerie/triest-habsburger-erbe-und-italienisches-flair-3/).









Eines der ältesten Kaffeehäuser im Wiener Jugendstil: Caffè San Marco seit 1914








Nach einem Streifzug durch die Stadt über die Scala dei Giganti zur alten und neuen Börse, durchs theresianische Viertel, zum Opernhaus bis zum Caffè allo Specchio an der Piazza dell’Unita radle ich zum Abschluss den Molo Audace hinaus bis zur bronzenen Windrose auf weißem Stein. Hier genieße ich den Ausblick aufs offene Meer und den Blick ins Stadtzentrum. Spätestens in diesem Augenblick verliebe ich mich in die Stadt und nehme mir vor, bald wieder zu kommen.


Molo Audace: Der Kai wurde 1754 über dem Wrack des spanischen Schiffes San Carlo erbaut, das 1739 an dieser Stelle gesunken war, und wurde zunächst San Carlo genannt. Ursprünglich wesentlich schmaler und kürzer, war der Kai vom Ufer losgelöst und nur über eine Holzbrücke zu erreichen. Er diente vornehmlich zur Be- und Entladung von Handelsschiffen. 1756 wurde der Kai um 19 Meter und 1860 um weitere 132 Meter verlängert. Zum Zeitpunkt der Verlängerung wurde die Mole mit dem Festland fest verbunden. 1922 erhielt der Kai seinen heutigen Namen, der vom ersten italienischen Zerstörer Audace abgeleitet ist, welcher am 3. November 1918 an dieser Stelle anlegte und die Stadt Triest unter italienische Kontrolle brachte. Zur Erinnerung an dieses Ereignis wurde am im Meer liegenden Ende der Mole eine bronzene Windrose auf weißem Stein errichtet. Heute wird die Mole nicht mehr zur Beladung von Schiffen genutzt, sondern dient hauptsächlich als Uferpromenade (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Molo_Audace).





Der Radweg „Ciclabile Triest – Miramare“ führt mich entspannt, wenn auch etwas holprig, aus dem Stadtzentrum hinaus. Es ist bereits 10:00 Uhr!


Ich gelange in den schmucken, langgezogenen Vorort Barcola, wo man wunderbar an der Strandpromenade entlang gondeln und die „Gente di mare“ beim Spazieren, Baden, Segeln oder Surfen beobachten kann.








Beim Schloss Miramare tummeln sich Massen begeisterter Sportler, die in einem Schwimmwettkampf namens „NUOtiamo“ gegeneinander antreten. Einer von ihnen ist Roberto (58), der mit seinem ganzen Team „Open Water – Jesolo Lido“ aus Jesolo angereist ist, um 3,5 Kilometer in Richtung Triest schwimmend zurückzulegen. Es gibt auch noch andere Streckenlängen, nämlich 8,5 (bis Triest) und 1,5 Kilometer.









Eine Fußgängerunterführung und leider nur eine Treppe führen zur Strada Costiera, auf der ich meine Fahrt fortsetze. Die gut asphaltierte Straße ist breit genug, sodass das Radeln auch bei mäßigem Verkehr Freude macht. Am Samstag Vormittag ist man hier als Radfahrerin definitiv nicht allein!! Auch die kurzen Tunnel sind breit und die Autofahrer rücksichtsvoll, also alles wunderbar!






In Sistiana werfe ich einen kurzen Blick in den Fischerei- und Yachthafen…

Ab Duino heißt die Strada Costiera Strada Statale 14 und führt mich bis Monfalcone, das ebenso über ein schönes Radwegenetz verfügt. Diesmal lasse ich den Stadtkern rechts liegen und strample weiter, ebenso auf schön ausgebauten Radwegen.






Wie meine treuen Leser wissen, liebe ich Brücken über alles und mache bei jeder mindestens ein Foto… hier: Canale Navigabile Brancolo



Der Radweg (verkehrsberuhigte Straße) führt am Kanal entlang bis zu einem Schild mit der Aufschrift „Isola Cona“, wo man linkt abzweigt.


Danach fährt man den Radweg entlang bis zu einer Brücke über den Isonzo (slov.: Soča).



Bis zur Überquerung des Baches Fiume Isonzato folgt man der Via Monfalcone (nach der Brücke Via Grado). Danach zweigt man links auf einen Radweg ab und folgt dem Bachbett bis zur Isonzomündung.



Kurz vor der Mündung gibt es ein tolles Lokal, das „Caneo“, wo man hervorragenden Fisch bekommt und auch übernachten kann. Ich nütze die Gelegenheit für eine erholsame Mittagspause.





Nach dem köstlichen Fischgericht fahre ich nicht auf dem kürzesten Weg nach Grado, sondern, neugierig wie ich nunmal bin, den Schotterweg weiter in Richtung Isonzo-Mündung. Ich stoße unverhofft auf ein kleines Fischerdörfchen, dem Villaggio Punta Sdobba, dessen Häuschen teils schon bessere Zeiten erlebt haben. Es scheint irgendwie ausgestorben zu sein, doch manchmal hört man Stimmen aus den meist verschlossenen Fensterläden. Ein Marienstock mit kleinem Fischerhafen bildet das „Zentrum“ des Dorfes, wo ein junger Mann, in seinem Fischkutter stehend, ein Netz entwirrt.



Dies ist wieder einmal eine perfekte Gelegenheit, um eine Konversation zu beginnen und ich spreche Luigi (27) aus Grado nach kurzem Zögern an. Wir unterhalten uns über die Fischerei, seinen Werdegang zum Beruf des Fischers und sein Sommer-Häuschen, das sich gleich in der Nähe befinden soll. Er schwärmt mir vor, wie er es von seinem Vater übernommen und hergerichtet hat. Ich solle es mir unbedingt anschauen, meint er und erklärt mir den Weg.



Nachdem ich mich etwas begriffsstutzig zeige, entledigt er sich kurzerhand seiner Gummi-Montur und geleitet mich zu seiner Unterkunft. Luigi ist sehr sympathisch und freundlich. Daher nehme ich seine Einladung, mir auch die Innenräume anzuschauen, gerne an. Er hat sich mit Hilfe einer kreativen Freundin sehr schnuckelig-maritim mit vielen Naturmaterialien eingerichtet und ich staune und bewundere den Einfallsreichtum der Innengestaltung und der Dekoration.









Nach der netten Begegnung mit Luigi dringe ich über eine Brücke und einen Single-Trail noch weiter zur Isonzo-Mündung vor, bis ich auf einen Aussichtsturm stoße, der allerdings mit einem Absperrband versehen ist. Eine solche Barriere war für mich noch nie ein Hinderungsgrund weiterzugehen und so besteige ich vorsichtig und mit einem etwas mulmigen Gefühl den Turm. Der Ausblick über die Flussmündung und die umliegende Schilflandschaft mit den zahlreichen Seevögeln ist wunderschön.








Endlich kann ich meinen Weg in Richtung Grado fortsetzen. Der Radweg parallel zur Strada del Caneo ist bezaubernd und führt endlos am Meer entlang. Es dauert nicht lange und es ergibt sich wieder die Möglichkeit, ein nettes Foto zu schießen, natürlich nicht ohne vorher das Brautpaar gefragt zu haben…




Bei einem Abstecher zum Lido delle Conchiglie eröffnet sich ein schöner Blick auf einen Naturstrand, wo eine einheimische Familie zwischen Seegras und Schwemmhölzern fern vom Touristenrummel entspannt den Nachmittag verbringt.




Die gute Radweg-Beschilderung führt mich in nordwestlicher Richtung den Canale Averto entlang, um bald ins schöne Val Cavanata einzutauchen.





Über diese Brücke über den Canale Averto gelangt man ins Val Cavanata.




Das Naturschutzgebiet Val Cavanata ist eine Vogeloase, die sich im östlichen Bereich der Lagune von Grado befindet. Ihr Symbol ist die Graugans (Anser anser), die sich hier seit 1987 regelmäßig fortpflanzt. Das weitläufige Fischzuchtgebiet umfasst Brackwasserteiche, Priele, den tiefen Averto-Kanal und einige barene (flache Erhebungen, die typisch für die Lagune sind und regelmäßig überschwemmt werden) mit einer sehr abwechslungsreichen Vegetation. Es wurde zu einem Feuchtgebiet von internationalem Wert erklärt, und zwar aufgrund der über 260 Vogelarten (darunter 216 Zugvogelarten und 21 Raubvogelarten), die hier nisten. Es ist ein idealer Ort für Birdwatching-Begeisterte. Unter den anzutreffenden Säugetieren sind Rehe, Feldhasen, Stinktiere, Steinmarder, Wiesel, Füchse, Dachse, Eichhörnchen und Igel zu nennen. Das Val Cavanata verfügt über folgende Strukturen für Besucher: das Besucherzentrum (an der Straße, die von Grado nach Fossalon führt), das Didaktische Labor der Casa Spina und einige Beobachtungsposten entlang der Wege. Im Besucherzentrum können kostenlos Ferngläser ausgeliehen werden, um die Vogelarten zu beobachten. Nach vorheriger Buchung werden Führungen organisiert (https://grado.it/de/was-zu-tun-ist/natur/val-cavanata/).






Die Brücke über den Canale di Primero führt mich auf die Insel von Grado. Der Radweg in die Stadt ist zwar abwechslungsreich, zieht sich aber ein wenig. Es sind ja doch noch fast zehn Kilometer zurückzulegen…





Am Canale dei Moreri entzücken mich Fischerboote, Jachten, Brücken und Blumen!



Endlich in Grado angelangt, genehmige ich mir den lang ersehnten Sprung ins Meer!! Am Sandstrand ist mir zu viel los und mit dem Rad wäre es zu umständlich, deshalb wähle ich den künstlichen Steinstrand.


Nach der Abkühlung besichtige ich erst mal Sant’Eufemia, die Hauptkirche von Grado und zünde, wie immer, ein Paar Kerzen für Ika, Opa, Urli, Vati-Opa, Vati und Simi an.
Sant’Eufemia ist die Hauptkirche der norditalienischen Stadt Grado und ehemalige Kathedralkirche des Patriarchen von Grado mit dem Titel einer Basilica minor. Das Gotteshaus ist ein seltenes, noch weitgehend intaktes Beispiel einer Kirche aus der Zeit der Völkerwanderung. Neben Gottesdiensten finden in der Kirche klassische Konzerte statt. Seit den Restaurierungsarbeiten von 1949 ist Sant’Eufemia von barocken Elementen befreit und hat weitgehend wieder seine ursprüngliche Form angenommen. Der Campanile mit der Bronzefigur des Erzengels Michael auf dem Dach wurde im 15. Jahrhundert errichtet. Das 700 Quadratmeter umfassende Bodenmosaik der dreischiffigen Säulenbasilika zeigt geometrische und pflanzliche Ornamente und enthält etwa 30 Weihinschriften mit den Namen der Stifter. Zum ersten, einschiffigen Vorgängerbau gehören die einen Meter tiefer liegenden Mosaikreste, auf die man durch Bodenöffnungen blicken kann. Ein großes Kapitell aus augusteischer Zeit dient als Weihwasserbecken. In der Kanzel sind Elemente verschiedener Stilepochen vereint: Sie wurde im späten 13. oder frühen 14. Jahrhundert gebaut, wobei die sechs Säulen römische Spolien des 5. Jahrhunderts sind und ihre Kapitelle aus dem 6. Jahrhundert stammen. Oben wird ein arabisch wirkender Baldachin von einer Kuppel gekrönt. Da die ursprünglichen Chorschranken verloren gingen, sind 1949 die jetzigen aus Marmorplatten des 6. Jahrhunderts zusammengesetzt worden. Das Fresko in der Apsiskalotte zeigt Christus in der Mandorla, Maria mit Heiligen und die Evangelistensymbole und wurde im 12. oder 13. Jahrhundert geschaffen. Das gotische, 1372 gestiftete Altarretabel aus vergoldetem Silber ist eine venezianische Arbeit (https://de.wikipedia.org/wiki/Sant’Eufemia_(Grado)).







Bevor ich nach Cervignano aufbreche, durchstreife ich noch die pittoreske Altstadt und bereite mich im schnuckeligen „Brocca Rotta“ mit „Spitz Aperol“ seelisch auf die letzten 20 Kilometer vor.





Leichten Trittes geht’s am Hafen von Grado vorbei und hinaus aus der Stadt – nie müde, um noch ein paar Fotos zu schießen…






Ich fahre nicht zum ersten Mal die Strada Mosconi über den Canale di Belvedere in Richtung Aquileia, aber dieses Mal ist die Stimmung besonders beeindruckend…






Die Sonne verschwindet unbemerkt, als ich in Aquileia ankomme. Eine kurze Besichtigung der Reste der römischen Stadt im Freigelände und der Basilika von außen (ich komme leider zu spät für den Eintritt…) muss sich noch ausgehen.
Aquileia war eine strategisch und wirtschaftlich bedeutende Stadt des Römischen Reiches. Reste der römischen Stadt sind im Freigelände und in zwei Museen zu besichtigen, allerdings wurde der größte Teil archäologisch noch nicht gesichtet (Stand 2017). In der mittelalterlichen Basilika von Aquileia befindet sich das bedeutendste frühchristliche Fußbodenmosaik Italiens, das auf das frühe 4. Jahrhundert datiert wird (https://de.wikipedia.org/wiki/Aquileia).











Die letzten zehn Kilometer sind, wie eigentlich immer, mühsam und anstrengend.


Bei Dunkelheit erreiche ich meine nette Privat-Unterkunft in Cervignano del Friuli.



Tags darauf finde ich mich bereits um 6:30 Uhr am Bahnhof von Cervignano del Friuli ein und fahre mit dem Micotra-Zug nach Hause. Um 8:30 Uhr bereite ich schon das Frühstück für meine Tochter, die noch schläft… Für meine Familie war ich nur einen Tag unterwegs und doch kommt es mir vor, wie eine Ewigkeit. Ich habe so viele Eindrücke und Bilder im Gepäck, die ich erst einmal verarbeiten muss. Ich behalte sie, wie einen Schatz, nur für mich (und natürlich auch für euch, liebe Leserinnen und Leser) in Erinnerung und konserviere sie akribisch anhand dieser Zeilen und Bilder…
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