1. Tag: Venedig – Ca‘ Tiepolo, 81 km

Die Reise beginnt eigentlich zu Hause, wo in aller Früh die letzten Sachen noch in den Packtaschen verstaut werden. Packliste hab ich keine, das muss auch so gehen… Geld, Pass, Visakarte, Busticket, Reserveschlauch, Luftpumpe, Handy, Aufladekabel und Powerbank müssen unbedingt dabei sein, alles andere ist nicht ganz so dringend. Und auf geht´s in jugendlichem Übermut mit einem leichten Nervenkitzel und riesiger Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer, in das ich mich nun stürzen werde.


Startbereit

Bei leichtem Nieselregen geht es abwärts zum Bahnhof. Aufgrund der schönen Wettervorhersage habe ich meine Regenjacke Hause gelassen, damit ich nicht unnötig Ballast mit mir rumschleppen muss… Der Bus vom Hauptbahnhof Villach (6.50 Uhr) nach Venedig Tronchetto (10.10 Uhr) eignet sich hervorragend für Radfahrer, die von Venedig aus Radtouren unternehmen möchten (Stand 2020). Bis zu vier Räder können mitgenommen werden und man kommt schnell und komfortabel ans Ziel. Je weiter wir in Richtung Süden fahren, desto mehr lichten sich die Wolken und der Regen hört auf. In Venedig hat es um 10 Uhr bereits 20 Grad und der ist strahlend blau!

Mit der Auto-Fähre (die Italiener nennen sie „Ferry Boat“) geht es vom Tronchetto aus zum Lido di Venezia und ich schaue mich nach potenziellen Gesprächspartnern um. Schon vorher beim Warten auf die Fähre ist mir ein Pärchen mit Rädern aufgefallen, das anscheinend einen Radausflug am Lido vorhat. Der Mann trägt einen weißen Bart, der zu einem Schwänzchen zusammengebunden ist, igendwie schräg und sympatisch… Auf der Fähre kommen wir nicht ganz zufällig ins Gespräch. Ich bin ja aktiv auf der Suche nach potenziellen Gesprächspartnern, um mein Italienisch zu verbessern. Sie sind sehr offen und nett, als ich mir einen Ruck gebe und sie anspreche. Sie erzählen mir, dass sie beide in Murano geboren und aus ökonomischen Gründen nach Mestre gezogen sind. Ein Schicksal, das vielen Venezianern widerfährt, weil sie sich die exorbitanten Mieten in der Stadt nicht mehr leisten können…

Christina und Adriano auf der Fähre
Christina, 60 und Adriano, 61 aus Mestre, hier mit Maske aufgrund der Corona-Maßnahmen (2020)

Lido di Venezia

Erfrischten Herzens aufgrund der netten Begegnung mit Cristina und Adriano fahre ich den Lido, eine 12 km lange Sandinsel, die die Lagune von der oberen Adria trennt, entlang in Richtung Süden, vorbei an prunkvollen Palazzi, dem Hotel Excelsior, sowie zahlreichen Strandbädern. Vor dem Palazzo del Cinema bereitet man sich auf die bevorstehenden Filmfestspiele 2020 vor.

Weiter verläuft der Radweg auf schmalen Dämmen (sog. „murazzi“) mit herrlichem Blick auf´s Meer. An der Steinküste haben kreative Leute Schattenplätze mit Schwemmholz errichtet und man möchte am liebsten für einige Zeit dort verweilen. Da ich noch 70 km vor mir habe, schieße ich zumindest ein Foto und treffe dabei zufällig wieder Cristina und Adriano, diesmal ohne Maske.

Ein kurzer Singeltrail führt mich entlang eines Kanals nach Malamocco, dem ältesten Ort des Lido die Venezia, in dem einst der Doge von Venedig residierte. Da ich in der Mittagszeit durch das Örtchen streife, begegne ich dort keiner Menschenseele.

Durch das Örtchen Malamocco gelange ich wieder auf die Lagunenseite der langgezogenen und sehr schmalen Insel und fahre auf einer mäßig befahrenen Straße nach Alberoni, dem südlichsten Ort, von wo auch die Fähre nach Pellestrina ablegt.


Pellestrina

Die Insel Pellestrina ist in ihrer Nord-Süd-Ausdehnung in etwa gleich lang wie der Lido di Venezia, also ca. 12 km und an ihrer breitesten Stelle nur 1 km breit. Für mich versprüht Pellestrina noch mehr Charme, wenn auch weniger Glanz vergangener Tage, weil die Insel naturbelassener ist, die Häuser scheinbar bunter, wenn auch schmuckloser und die Strände menschenleer sind.

Auf dem zwar nicht ganz so sauberen, dafür einsamen Strand werfe ich mich zum ersten Mal in die Fluten (wer weiß, ob es später noch möglich sein wird…) und nutze das Alleinsein, um mein neues Klammerstativ für ein paar Selfies auszuprobieren. Das ist dabei herausgekommen…

Es ist kurz nach halb drei und in der Ortschaft Pellestrina sind die Küchen diverser, schnuckeliger Lokale sind leider schon geschlossen. Bei der Anlegestelle für die Fähre nach Chioggia führt Giovanni eine nette Bar, wo ich mich für ein Panino mit Proschiutto und ein Gläschen Rotwein und viel Wasser ausraste.


Chioggia

Die auf Holzpfählen errichtete Stadt liegt am Südende der Lagune von Venedig, etwa 25 Kilometer Seeweg von Venedig entfernt. Sie trägt wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Metropolitanstadt den Beinamen „Klein-Venedig“. Chioggia ist über eine Steinbrücke mit dem Festland verbunden. Der Vena-Kanal teilt die Stadt und wird von neun Brücken gekreuzt (https://de.wikipedia.org/wiki/Chioggia).

Südlich von Chioggia führt ein wunderschöner Radweg entlang der Lagune und dann im Landesinneren in Richtung Süden.

Leider bleibt mir keine andere Wahl und ich muss auf die Bundesstraße Via Romea, die man bis über die stark befahrene Brücke nicht umfahren kann… Ich nehme vor lauter Angst den viel zu schmalen Gehweg und schiebe über die Brücke der Brenta.

Bis Rosolina gelingt es mir, dem Verkehr, einmal links von der Bundesstraße über einen ruhigen Feldweg und einmal rechts am Canale di Valle entlang, auszuweichen. Danach muss ich auf einer relativ stark befahrenen Straße in südöstlicher Richtung bis Porto Viro fahren.


Porto Viro

Porto Viro ist, trotz der schönen Kirche San Bartolomeo Apostolo und dem eindrucksvollen Campanile, ein eher unpersönlicher Ort, wo es sich nicht unbedingt lohnt, den Abend zu verbringen. Daher beschließe ich, bis nach Ca´Tiepolo weiter zu radeln und buche zur Sicherheit gleich die Unterkunft, damit ich die bevorstehende Nacht auch sicher in einem Bett verbringen kann.

Wunderschöner Streckenabschnitt: Porto Viro – Ca´Tiepolo

Nach ca. 20 weiteren Kilometern am Damm-Radweg, entlang des wunderschönen Po di Venezia (Achtung Mückenschwärme!), komme ich bei Dunkelheit nach atemberaubendem Sonnenuntergang und gleichzeitigem Vollmondaufgang (roter Mond) völlig erschöpft und müde in meiner Unterkunft „Albergo Ristorante Pizzeria Klaus“ an. By the way, ich sollte mir vielleicht doch eine Packliste schreiben, denn ein Radlicht hab ich auch vergessen… Ich bin halt noch blutige Anfängerin in Sachen Bike-Packing!

Spaghetti alle Cozze

BUONA NOTTE!

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