14. Tag: Canolo – Reggio di Calabria, 92 km, 1440 Hm

Knapp nach Sonnenaufgang verlassen wir das verschlafene Dörfchen Canolo.

Das weitläufige Aspromonte-Gebiet mit seinen Buchen-, Eichen-, aber auch Fichtenwäldern ist ein faszinierendes Ökosystem und wir wundern uns immer wieder, wie solch saftig grüne, riesige Flächen auf einer geografischen Breite von ca. 38° Nord bestehen können. Die Temperaturen sind hier tatsächlich auch im Juli angenehm, was nicht zuletzt der doch beträchtlichen Höhe von bis zu 1400 m Höhe geschuldet ist.

Immer wieder treffen wir auf freilaufende Rinder, die sich im Wald herumtreiben und sichtlich wohlfühlen.

Auch Ziegen sind keine Seltenheit.

Ein verlassenes Haus macht Hoffnung auf Zivilisation… Dass das Farnkraut bereits die Straße zu überwuchern beginnt und teilweise Netzausfälle auftreten, verrät uns aber, dass es noch eine Weile dauern muss, bis wir auf Menschen treffen.

Ich bin beeindruckt von dem Grün und der Größe des hier vorkommenden Farns!!

Kurze Pinkel- und Frühstückspause. Meine Augen sind durch die Entzündung noch immer geschwollen…

Weiter geht`s über einsame, perfekt asphaltierte Straßen…

Der Weg nach Gambarie, unserem heutigen Mittagspausenziel, ist gut beschildert.

Eine Ziegenherde passiert unbeaufsichtigt die Straße…

Bei einem weit abgelegenen Trinkbrunnen mitten im Wald herrscht reges Treiben. Angela und Severin aus Reggio di Calabria verkaufen Erdnüsse, Kräuter, Öl und Kartoffeln. Wir nehmen uns etwas überteuerte Erdnüsse mit und zehren noch lange davon…

Wieder treffen wir auf freilaufende Rinder….

Der Radweg durch den Aspromonte Nationalpark ist ein echtes Radfahrerparadies, aber anscheinend noch wenig bekannt, da man selten auf Gleichgesinnte trifft. Eine Gruppe von Rennradlern begrüßt uns überschwänglich!!

Wir bewegen uns auf traumhaften Wegen durch dichte Laub- und Nadelwälder…

Ein nettes Fotomotiv…

Schön langsam lichtet sich der Wald. Cosimos Frühstück und Ricas bzw. Giuseppes Cracker retten uns vor einem Schwächeanfall. GRAZIE MILLE!!!

Die Zivilisation hat uns wieder und nach stundenlangem, meditativem Radeln durch unberührte Naturlandschaft fühlen sich Autos, Müll und Menschenlärm ganz fremd an.

Vor der Ortschaft Gambarie verkaufen lokale Bauern und Hobbygärtner selbstgemachte Produkte wie Öl, eingelegtes und frisches Gemüse, Obst, Oliven, Nüsse und Honig.

Wo Italiener (zumindest jene im Raum Reggio di Calabria) mit dem Auto hinkommen, da fahren sie auch hin. Kein Schritt wird unnötig zu Fuß gegangen, so unser Eindruck. Aus dem Auto werden Klappstühle und -tische, Decken und viel Jause ausgepackt und im Kreis der großen „famiglia“ verzehrt. Dabei legen anscheinend nicht alle viel wert auf sauberes Verlassen der Erholungsstätte, was der herumliegende Müll im Wald verrät.

Gambarie ist ein Touristenort, wo man im Sommer wandern und mountainbiken und im Winter sogar Schi fahren kann. Es gibt 4 Lifte und von der Piste aus kann man bis nach Sizilien und zum Ätna sehen.

In einem der Hotelrestaurants legen wir eine wohlverdiente Mittagspause ein.

Von Gambarie geht es bis Reggio größtenteils bergab und wir freuen uns schon auf die ewig lange Abfahrt von 1305 m auf Meereshöhe.

Nach dem Essen stellt sich allerdings eine bleierne Müdigkeit ein, der wir widerstandslos nachgeben…

Die Abfahrt nach Reggio (mit einer kräfteraubenden Steigung in der Mitte) führt durch eine wilde und zerklüftete Landschaft, genauso, wie man sich das in Reiseführern beschriebene Kalabrien vorstellt.

In Kalabrien gilt (leider): Wo Menschen sind, ist auch Müll…

Der erste Blick aufs Meer nach drei Tagen. Wir freuen uns!!

Wir fahren durch einen ärmlich wirkenden Vorort von Reggio und haben ein leicht mulmiges Gefühl je weiter wir uns der angeblichen Ndrangheta-Hauptstadt nähern… Die ´Ndrangheta ist die kalabrische Mafia.

Die ’Ndrangheta ist die kalabrische Form der Mafia, deren Aktionsradius heute ganz Europa, Nord- und Südamerika sowie Australien umfasst. Mit Aktivitäten in rund 30 Ländern erzielt sie einen Jahresumsatz von geschätzt 50 Milliarden Euro. Die ’Ndrangheta zählt zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt. Laut einem Bericht der Anti-Mafia-Kommission aus dem Jahr 2014 liegt die Stärke der ’Ndrangheta sowohl in ihrer ökonomischen Macht als auch in ihrem starken Einfluss auf die Politik. Die Gewinne werden durch Geldwäsche gesichert und reinvestiert. Wichtigste Einnahmequellen sind der Drogenhandel und die illegale Abfallentsorgung, insbesondere von Giftmüll. Sie kontrolliert weite Teile des Kokainhandels in Europa (https://de.wikipedia.org/wiki/’Ndrangheta#:~:text=Die%20%27Ndrangheta%20%5B(n),von%20geschätzt%2050%20Milliarden%20Euro).

Der Blick auf die Insel Sizilien löst zumindest bei mir Glücksgefühle aus!!

Reggio di Calabria und Sizilien liegen direkt vor uns. Juhuuuu!!!

Die Kalabresen haben definitiv ein Müllproblem!!!

Unser Tages- UND Etappenziel Reggio di Calabria!!!! Wir haben`s geschafft!!!!!

Bei unserer Ankunft in Reggio di Calabria sind wir zunächst etwas schockiert von den Müllbergen, die sich auf einem Marktgelände angesammelt haben…

REGGIO DI CALABRIA: Die griechische Stadt Rhegion an der Straße von Messina ist neben Cumae die älteste griechische Kolonie in Italien. Sie wurde von Siedlern aus Chalkis im 8. Jahrhundert v. Chr. (720) gegründet und später auch von Messeniern besiedelt. Durch den Handel gedieh die Stadt bald zu solcher Blüte, dass sie zur Zeit des älteren Dionysios 70 Kriegsschiffe stellte. 433 v. Chr. schloss Regium einen Vertrag mit den Athenern und verbündete sich 427 v. Chr. mit diesen gegen Syrakus, blieb 415 v. Chr. aber neutral. Von Dionysios I. von Syrakus wurde es nach mehrjährigen heftigen Kämpfen und Belagerungen 387 v. Chr. erobert, geplündert und zerstört. Die Einwohner wurden in die Sklaverei geführt. Die Stadt erhob sich danach nicht wieder zu ihrem alten Wohlstand. Regium war mehrfach in Kriege mit Lokroi verwickelt, bis es kurz vor dem Ersten Punischen Krieg 264 v. Chr. als verbündete Stadt (civitas foederata) unter römische Herrschaft kam. Nach dem Bundesgenossenkrieg, der den Einwohnern das römische Bürgerrecht verschaffte, wurde Regium ein Municipium und entwickelte sich unter dem Namen Rhegium Julii zu einer prächtigen römischen Stadt. Später wurde sie byzantinisch. 918 kam die Stadt in die Gewalt der Sarazenen, welchen die Pisaner hier 1006 ein Treffen lieferten. 1060 wurde sie den Byzantinern durch die Normannen unter Robert Guiscard und 1282 Karl I. von Anjou durch Peter III. von Aragón entrissen. Im 16. Jahrhundert verwüsteten die Osmanen die Stadt und wiederholt deren ganze Küste; sie wollten, wie schon 918 die sizilianischen Araber, von Reggio aus den Islam in Italien verbreiten. Aus der Region stammte der aus Schillers Ballade bekannte Dichter Ibykos. Bereits in der Antike war die Gegend von mehreren Erdbeben heimgesucht worden. 1783 zerstörte ein Erdbeben die Stadt fast ganz; danach erfolgte aber ihr Wiederaufbau. Am 28. Dezember 1908 wurde Reggio durch das Erdbeben von Messina 1908, das mit einem Tsunami verbunden war, verwüstet. Mindestens 15.000 der damals 45.000 Einwohner verloren ihr Leben. 1807 landete bei Reggio der Prinz von Hessen-Philippsthal mit 6000 Mann. Am 31. August 1847 erfolgte hier ein Aufstand der Calabresen unter Andrea und Domenico Romeo; am 1. September kapitulierte die Garnison und am 3. September 1847 stellten königliche Truppen die Ruhe wieder her. Im März 1848 fand hier ein neuer Aufstand gegen die Regierung statt. Am 19. August 1860 landeten unweit Reggio die Truppen Garibaldis nach der Eroberung Siziliens und schlugen am 21. August unter Bixio die königlichen Truppen, die am 23. August 1860 die Stadt und das Fort übergaben. Im Zweiten Weltkrieg kam es während des Italienfeldzugs am 3. September 1943 zur Operation Baytown, als die britische Armee unter Bernard Montgomery an der Küste bei Reggio Calabria landete. Im Oktober 2012 wurde der Stadtrat vom Italienischen Innenministerium aufgelöst und die Verwaltung unter Aufsicht gestellt. Der Grund der Maßnahme war die Nähe mancher Politiker zur Mafia-Organisation ’Ndrangheta. Die Aufsicht über die Verwaltung übernahm der Polizeichef von Crotone, der diese im Frühjahr 2013 an einen neu gewählten Stadtrat zurückgeben sollte (https://de.wikipedia.org/wiki/Reggio_Calabria). Bis 1970 war Reggio Hauptstadt der Region Kalabrien, bis sie diese Funktion an Catanzaro abtreten musste. Das Regionalparlament hat nach wie vor seinen Sitz in Reggio di Calabria. Mit ihren 183.791 Einwohner (Stand am 31. Mai 2005) ist sie die größte Stadt Kalabriens (https://calabria-69.de.tl/Calabria–k1-Kalabrien-k2-.htm).

Als wir uns auf dem Radweg am Meer befinden, vermutet man nichts von der Verwahrlosung mancher Stadtviertel.

Die Straße von Messina ist beeindruckend und Sizilien liegt scheinbar einen Steinwurf entfernt.

Die zwei Kilometer lange Promenade von Reggio hält, was sie verspricht. Sie könnte tatsächlich eine der schönsten der Welt sein.

Der großzügig gestaltete Lungomare von Reggio di Calabria.

Wir haben Glück, denn genau heute findet ein Konzert an diesem magischen Ort statt und wir werden definitiv dabei sein!

An der Küstenstraße Viale Italo Falcomata in Reggio wurden 1908 nach dem großen Erdbeben 27 Fikus-Bäume gepflanzt (https://www.baumkunde.de/baumregister/2349-ficus_in_reggio_di_calabria/), die heute eine beachtliche, wenn nicht sogar monumentale Größe erreicht haben. Auch die Palmen am Lungomare geben dem Ort eine besondere Note…

Es ist ein wunderbares Gefühl, eine solch eindrucksvolle Reise gemeinsam erlebt zu haben! Wir sind in 10 Tagen 739 Kilometer gestrampelt, haben ca. 8000 Höhenmeter bewältigt und das bei Temperaturen um die 29 Grad Celsius… Wir sind mega-glücklich und stolz auf unsere Leistung!

Reggio di Calabria mit Blick auf Sizilien

Die Suche nach unserer gut versteckten Unterkunft „La Cattedrale“ beginnt.

Wir kommen bei Ausgrabungen von römischen Thermenanlagen und der Kathedrale von Reggio vorbei.

Römische Thermenanlage mit Bodenmosaik und die Kathedrale von Reggio di Calabria

Die römischen Thermen befinden sich im letzten Teil der Uferpromenade Falcomatà, wurden während der Wiederaufbauarbeiten nach dem Erdbeben von 1908 gefunden und sind eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt Reggio Calabria. Aufgrund ihrer Größe waren die Thermen wahrscheinlich Teil eines privaten Hauses. Diese Reste zeigen mehrere Bauphasen; sie waren für lange Zeit von einem Wachtturm der spanischen Stadtmauer bedeckt (Bastion von San Matteo), der mit dafür gesorgt hat, dass sie erhalten blieben. Vom ursprünglichen Grundriss ist heute zu sehen: ein elliptisches Becken für die Warmbäder, dem einige geheizte Räume vorgeschaltet waren (tepidarium und calidarium), ein quadratisches Becken für Kaltbäder und einen kleinen halbkreisförmigen Umkleideraum mit schwarz-weißem Mosaikfußboden. Während der Ausgrabungen dieser Thermen wurden auch Teile des Mauerputzes mit maritimen Motiven gefunden. Das Mosaik aus dem 2./3.Jh. vor Chr. ist geometrisch, mit weißen Kalkstein- und schwarzen Lava-Teilchen sizilianischen oder äolischen Ursprungs. Ein kleiner Teil des Rahmens zeigt auch graue Teile (aus der Restaurierung). Die eigentliche zweifarbige Gestaltung ist nur im mittleren Teil des Bodens angewandt und mit einem rechteckigen schwarzen Rahmen umfasst, der wiederum mit weißer Bordüre umgeben ist. Das Mittelmotiv besteht aus einer Reihe großer länglicher Sechsecke, deren Kombination kleine Rhomben ergibt, die am stumpfen Winkel aneinander stoßen; sie sind schwarz auf weißem Grund (https://turismo.reggiocal.it/de/kultur/archaeologie-und-geschichte/roemische-thermen).

Unser zwar nettes Quartier „La Cattedrale“ ist wie schon gesagt nicht leicht zu finden, da das winzige Türschild an der Glocke der einzige Hinweis für ihre Existenz ist. Der Eigentümer klingt sehr sympathisch, allerdings haben wir ihn nie zu Gesicht bekommen…

Letztes kalabresisches Abendessen am Lungomare

Das „Incanto Quartett“ entspricht zwar nicht ganz unserem musikalischen Geschmack, aber die Location am „Stretto di Messina“, also der Straße von Messina mit Blick auf die gleichnamige Stadt auf der Insel Sizilien ist schon Spektakel genug.

Ein würdiger letzter Abend in Kalabrien geht zu Ende und wir fallen todmüde, erschöpft, aber auch erleichtert in unser Bett.

BUONA NOTTE!!

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