Wir brechen zeitig in der Früh kurz vor Sonnenaufgang auf.


Craco Peschiera hinterlässt bei uns einen eher bescheidenen Eindruck.





Die Straße nach Craco erscheint im Morgenlicht freundlicher als am Vorabend bei Sonnenuntergang. Das Feuer ist erloschen und der einzige, der uns überholt ist ein Läufer, mit dem ich ein paar Worte wechsle. Er hat seine Kindheit in Craco verbracht und wurde mit seiner Familie in der 80-ern nach Craco Peschiera evakuiert.





Craco ist eine verlassene Stadt im Südwesten von Matera und einer der Drehorte von dem Film „Christus kam nur bis Eboli“ von Francesco Rosi. Aber auch Mel Gibson wählte Craco als Drehort von „Die Passion Christi“.
CRACO: Die küstenfernen Regionen der Basilikata waren bereits seit der Eisenzeit besiedelt. Im 8. Jahrhundert v. Chr. landeten erste griechische Kolonisten an der lukanischen Küste. Um 540 wurde das Gebiet um Craco, das von Griechen bewohnt war, Montedoro genannt. Man hat hier Gräber aus dem 8. Jahrhundert gefunden, was auf den Beginn der eigentlichen Besiedlung hindeutet. 1276 wurde eine Universität in der Stadt gegründet. In dieser Zeit wurde auch der weithin sichtbare Burgturm von Muzio Attendolo Sforza erbaut. Unter Friedrich II. war Craco ein wichtiges militärisches Zentrum, 1293 wurde der Burgturm zum Gefängnis. Die Bevölkerung stieg stetig von 450 (1277), 655 (1477), 1718 (1532) bis auf 2590 Einwohner im Jahr 1561. Bis zum 15. Jahrhundert entstanden vier große Palazzi in der Stadt: Palazzo Maronna, Palazzo Grossi, Palazzo Carbone und Palazzo Simonetti. Mit der Errichtung des Klosters St. Pietro im Jahr 1630 wurde dauerhaft ein Mönchsorden gegründet. Das Kloster verbesserte mit Einführung von wissenschaftlichen Anbaumethoden die Einkommensbedingungen der größtenteils in der Landwirtschaft beschäftigten Bevölkerung, die vor allem die Produktion von Getreide, Olivenöl, Gemüse, Wein und Baumwolle betrieb. 1656 dezimierte eine Hungersnot die Bevölkerung um hunderte Einwohner. Nach Ausrufung der neapolitanischen Republik 1799 beseitigten die Bewohner der Stadt das feudale System. Nur wenige Zeit später kam die Stadt unter Kontrolle des Königs von Neapel-Sizilien, gefolgt von französischer Besatzung unter Napoleon. Am 18. Juli 1807 wurde Craco durch Briganten geplündert. Die meisten der pro-französischen Einwohner wurden dabei getötet. 1815 war die Stadt groß genug, um sie in zwei Bezirke einzuteilen: Vecchia, den höchsten Bereich neben der Burg und dem Burgturm; und das Quarter della Chiesa Madre, den Bereich in der Nähe der San Nicola-Kirche. Nach der Einigung Italiens wurde Craco 1861 von den Briganten unter ihrem Anführer Carmine Crocco erobert. Mit dem Ende des Bürgerkriegs wurde Craco mit ökologischen und geologischen Problemen konfrontiert. Von 1892 bis 1922 emigrierten mehr als 1300 Crachesi nach Nordamerika, vor allem wegen der schlechten Bedingungen in der Landwirtschaft. Zwischen 1959 und 1972 wurde Craco durch eine Serie von Erdrutschen nahezu zerstört. 1963 musste die Stadt evakuiert werden. Die Erdrutsche wurden wahrscheinlich durch Arbeiten an Kanalisation und Wasserversorgung ausgelöst. Für die Bewohner erbaute man im Tal, wohin der Großteil der Bevölkerung evakuiert wurde, die neue Siedlung „Craco Peschiera“. Nach dem Erdbeben in der Irpinia 1980 gab man die Altstadt von Craco auf. 2010 nahm der World Monuments Fund Craco in seine Liste der gefährdeten Kulturdenkmäler auf. Heute kann man die Altstadt im Rahmen von geführten Touren besichtigen (https://de.wikipedia.org/wiki/Craco).









Leider ist die Stadt abgeriegelt und der Zutritt verboten. Erst um 10:00 Uhr könnte man ein Ticket kaufen, um mit einem Guide das Stadtinnere zu besichtigen.


Dies ist der zweite Tag in den scheinbar unendlichen Weiten der lukanischen Landschaft.





Wir radeln völlig alleine auf den einsamen Straßen dahin und genießen Ruhe und Weitblick…


Der Blick zurück nach Craco macht uns bewusst, wie schnell wir uns eigentlich fortbewegen…

Die kleinen Freuden einer Radlerin: Die Farbe GRÜN tut sich am Wegesrand auf!!!


Breite Straßen, die wir ganz für uns alleine haben…





Die Fahrverbotstafel wird schmunzelnd ignoriert!





Seltene Fahrbahnschäden… eventuell der Grund für die Fahrverbotstafel?? Wir wissen es nicht…



Die ersten Calanchi tun sich zwischen Kuhherden und Olivenhainen auf.





Eine Landschaft aus Lehm und Sand: Die Calanchi um Aliano





Wir ignorieren zum x-ten Mal ein Fahrverbotsschild und radeln die alte Bergstraße, die von Autos tatsächlich nicht mehr befahren werden kann, nach Aliano, das auf einem Hügel liegt. Mit dem Fahrrad kommt man leicht an den Abbruchstellen vorbei.





Aliano begrüßt uns zur brütend heißen Mittagszeit mit etlichen Werbe- und Willkommenstafeln. Eine Woche vor unserer Abreise habe ich mir den Film „Christus kam nur bis Eboli“ von Francesco Rosi angesehen. Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Carlo Levi, der in den Jahren 1935/36 vom faschistischen Regime aufgrund seiner antifaschistischen Aktivitäten in Turin hierher verbannt worden war. In seinem Buch beschreibt er die katastrophalen und ärmlichen Lebensumstände der Menschen im damaligen Aliano. Ich war von der Geschichte so berührt, dass ich diesem Ort unbedingt einen Besuch abstatten wollte.





Mein erster Weg führt mich zum Friedhof von Aliano, wo ich das Grab von Carlo Levi besuche.







Carlo Levi stammte aus einer großbürgerlichen assimilierten jüdischen Familie. 1918 schrieb er sich zum Medizinstudium an der Universität Turin ein, das er 1924 abschloss. Er arbeitete zwar von 1924 bis 1928 als Assistenzarzt an einer Turiner Klinik, praktizierte aber nie als regulärer Arzt, da er sich mehr für Politik und Malerei, der er sich ab 1923 intensiv widmete, interessierte. So wurde er Mitglied der von Piero Gobetti geleiteten Gruppe Rivoluzione liberale („Liberale Revolution“), verbrachte einige Zeit in Paris und nahm 1929 an der Ausstellung Sei pittori di Torino („Sechs Turiner Maler“) teil. Weil er zusammen mit Carlo und Nello Roselli 1929 die antifaschistische Gruppe Giustizia e Libertà („Gerechtigkeit und Freiheit“) gegründet hatte und sie zusammen mit Leone Ginzburg leitete, wurde Levi von der faschistischen Regierung im Frühjahr 1934 für zwei Monate in Rom inhaftiert und im Mai 1935 in die süditalienische Region Lucania (Lukanien, heute Basilicata) verbannt. Dort verbrachte er, nach einiger Zeit im Städtchen Grassano, die Zeit von September 1935 bis Mai 1936 in dem Dorf Aliano, wo er wegen des Elends der Einwohner unentgeltlich und mit geringen Mitteln als Arzt praktizierte, bis die Provinzverwaltung ihm auch dies untersagte und Behandlungen nur noch heimlich möglich waren. Nebenbei malte er Menschen und Landschaft und erkundete die Bräuche der Einwohner, besonders Magie und Aberglauben. Carlo Levi starb 1975 in einem römischen Krankenhaus an Lungenentzündung. Gemäß seinem ausdrücklichen testamentarischen Wunsch wurde er auf dem Friedhof von Aliano bestattet, der während seiner Verbannung dort einer seiner liebsten Aufenthaltsorte war (https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Levi).




Weltberühmt wurde Levi durch sein in 37 Sprachen übersetztes Buch Cristo si è fermato a Eboli („Christus kam nur bis Eboli“, 1945), das Francesco Rosi 1979 mit Gian Maria Volonté in der Hauptrolle verfilmte. Obwohl es wegen seiner literarischen Form oft als Roman bezeichnet wird, handelt es sich um seine zwischen Dezember 1943 und Juli 1944 niedergeschriebenen Erinnerungen an die Verbannung nach Aliano (1935/1936), das Levi aus Diskretionsgründen in ‚Gagliano‘ umtaufte, so wie er auch durch bewusste Fehlangaben der Himmelsrichtungen von der genauen Lage des Dorfes ablenkte. Trotzdem wurde die Identität des Ortes ebenso schnell enttarnt wie das Buch berühmt wurde. Der Titel des Werkes spielt auf eine Redensart der Einwohner Alianos an, die laut Levis Einleitung den abgelegenen Zustand dieses Teils von Lukanien beschreiben soll, für das sich weder die Zentralregierung in Rom noch überhaupt die moderne Welt je interessiert habe. Auch bestanden dort unzureichende hygienische Verhältnisse sowie ein Mangel an medizinischer Versorgung verbunden mit volksmedizinischen und magischen Vorstellungen. Levi legt die Wendung darüber hinaus wörtlich und symbolisch aus und schildert Aliano als einen Ort, in dem die Einwohner ohne Bewusstsein von Politik, Geschichte, Ursache und Wirkung in einer zeitenthobenen Resignation leben; nicht einmal das Christentum stelle hier mehr dar als einen Aberglauben unter vielen anderen. Dementsprechend beschreibt Levi in zurückhaltender, essayistischer Form das Leben in Aliano, vom Elend der Bauern bis zur lächerlichen Gestalt des faschistischen Bürgermeisters. Seine besondere Stärke sind dabei einprägsame Porträts und Landschaftsbilder, genau wie bei Levis Malerei (s. u.). Daneben wurden noch andere Abschnitte berühmt, besonders die Schilderung der katastrophalen Lebensbedingungen der Einwohner in der Provinzhauptstadt Matera. Während die Einwohner Alianos und seiner Region anfangs von Levis offener Beschreibung ihres Elends nicht begeistert gewesen sein sollen, ist das Buch heute in Aliano Schullektüre. Der Ort ist seit den neunziger Jahren zum Parco Letterario Carlo Levi („Literaturpark Carlo Levi“) ausgerufen worden.
Die Einfahrt nach Aliano….






Gino lernen wir vor dem Friedhof von Aliano kennen, wo er gerade sein Auto wäscht. Wir plaudern ein wenig über dies und das und schließlich lädt er uns zum Essen bei sich zu Hause ein. Er verwöhnt uns mit allerlei Köstlichkeiten, wie z.B. Salsicce und die typisch lukanischen Semmelknödelchen mit Zucchinisauce. Dazu gibt es besten Wein und anschließend Likör… Grazie, Gino!!!











Gino lässt uns die Räder in seiner Garage unterstellen und vertraut uns sogar den Schlüssel an! Soooo lieb!! Es ist, als wäre er ein alter Bekannter…






Während Harald ein Mittagschläfchen in unserer Unterkunft „La Contadina Sisina“ vorzieht, unterhalte ich mich mit Zeitzeugen, die aber leider einen unverständlichen, teils griechischen Dialekt sprechen. Maria, die Kellnerin der Bar, übersetzt fallweise für ein besseres Verständnis ins Italienische.



Anschließend schlendere ich die langgezogene Stadt entlang und genieße herrliche Ausblicke in die zerklüftete Landschaft u. a. des Valle delle Grotte (=Tal der Höhlen).









Die Stadt steht im Zeichen von Carlo Levi und – geführt von Terracotta-Beschilderungen – wandle ich auf seinen Spuren und deren der Protagonisten aus Buch und Film.














Aus einer der schmalen Gassen höre ich laute Gesänge zur Musik von u. a. Umberto Tozzi und Ricchi e Poveri. Neugierig wie ich bin, gehe ich den Klängen nach…


Es offenbart sich mir ein rührendes Spektakel. Eine ganze Familie feiert den Auszug der letzten Tochter und ihren Schritt in die Selbständigkeit. Von der „Nonna“ (=Oma) bis zum Baby, sind alle vertreten und singen und tanzen ausgelassen auf der Straße. Ich werde auf Wein und Grillfleisch eingeladen und darf mir sogar ein Lied wünschen, das wir dann gemeinsam lauthals grölen: „Soli“ von Adriano Celentano für meine Freundinnen Claudia und Ilse.








Um 17:30 Uhr beginnt die Führung in der Pinacoteca Carlo Levi und ich muss mich leider von der netten Familiengesellschaft verabschieden. Bei der Führung bin ich ganz alleine und fotografieren ist eigentlich nicht erlaubt. Ein paar Fotos gewährt mir die nette Dame aber dann doch…






















Im Anschluss zur Ausstellung gehen wir die Straße hinunter zu dem Haus, in dem Carlo Levi während der Zeit seiner Verbannung gelebt hat. Im unteren Bereich wohnte die Zimmervermieterin von Levi gemeinsam mit Esel und Hühnern. Ein Esel sicherte das Überleben einer Familie, er bewegte den Mahlstein und transportierte Arbeitsgeräte, Material und Ernte zu den weit entfernten Feldern und wieder zurück.







Im oberen Stockwerk befinden sich Carlo Levis Räumlichkeiten inklusive Kamin und Sonnenterasse, wo er gerne gemalt hat. Einprägsam ist der alte Fußboden mit den wabenförmigen Fliesen, der auch im Film ins Auge sticht. Von der Terrasse aus genießt man einen atemberaubenden Blick über die lukanische Landschaft und kann sich gut vorstellen, wie sich Carlo Levi in der Zeit seiner Verbannung fernab von jeglicher Zivilisation gefühlt haben muss.







Wir reservieren einen Tisch für heute Abend im Lokal „Amici di Levi“, das durch seine traumhafte Lage und köstliches Essen besticht. Eine Theater- und Konzertarena runden das beeindruckende Ambiente ab.


Gino fungiert als Kameramann bei der Büste von Carlo Levi… Danke, Gino!!


Nach einer netten Führung durch die Stadt genehmigen wir uns noch ein Abschlussgetränk mit Gino in der Bar Centrale, wo sich gefühlt der ganze Ort trifft.









Das Abendessen nehmen wir in der Pizzeria „Amici di Levi“ in trauter Zweisamkeit zu uns und genießen die himmlische Ruhe…



Extrem erschöpft sinke ich in mein Bett und schlafe aufgrund der Hitze (die Klimaanlage bläst zu stark direkt aufs Bett) zugedeckt mit einem nassen Handtuch…. BUONA NOTTE!!
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